Die Österreichisch Kroatische Gesellschaft hat am 14. November 2016 in Wien einen in mehrfacher Hinsicht interessanten Liederabend unter dem Motto „Frauen in der Musik der Romantik“ veranstaltet. Einerseits wurde der Abend vom Vorstandsmitglied der Österreich Kroatischen Gesellschaft, Sandra Wigh Hrašćanec, Mezzosopran, gestaltet, begleitet von Yu Chen, Klavier. Andererseits stand die Veranstaltung unter dem Ehrenschutz der Kroatischen Botschaft in Wien. Das musikhistorisch Interessante an  dem Liederabend war jedoch die Tatsache, dass es dabei zur Erstaufführung von sechs wieder aufgefundenen Liedern von Luisa Erdödy – LIOS (1853 – 1924) gekommen ist. An der Auffindung der Noten dieser sechs Lieder waren mehrere Fachleute beteiligt, unter ihnen Doz. Dr. Franko Ćorić von der Philosophischen Fakultät in Zagreb (ein Kunsthistoriker und Germanist, sowie Spezialist für die Österreichisch – Ungarische Monarchie) und Frau Dr. Christa Hoeller aus Graz, die die Noten der Lieder in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien gefunden hat. Auf dem Programm standen neben den sechs Erdödy – LIOS – Liedern auch sieben Kompositionen von Dora Pejačević (1885 – 1923), Richard Wagners Wesendonck – Lieder und das Minuet D 600 für Klavier von Franz Schubert. Im Hinblick auf den österreichisch-kroatischen Kulturaustausch sind natürlich vor allem die Komponistinnen Luisa Erdödy – LIOS und Dora Pejačević von besonderem Interesse.

Lusa Erdödy LIOS (1853 – 1924)

Wie Frau Dr. Christa Höller schrieb, hatten es komponierende Frauen nie leicht. Oft wurden sie an der Pflege und Ausübung ihres Talents gehindert, ihre Werke wurden nur selten aufgeführt. Doch einige dieser Damen eroberten sich schon im 19.Jahrhundert eine gewisse Stellung im männlich dominierten Musikleben. Zu diesen Ausnahmen gehörte Luisa Gräfin Erdödy, die sich unter dem Pseudonym LIOS Anerkennung erwarb. 

Sie wurde am 31.1.1853 in Wien als Tochter des Heinrich Drasche-Wartinberg und der Josephine von Freudenthal geboren, und starb in Obermais bei Meran am 16.1.1924. Schon als kleines Kind zeigte sie ihre starke musikalische Begabung. Mit 5 Jahren erhielt sie auf eigenen Wunsch einen Klavierlehrer, den sie durch fehlerloses Nachspielen einer Melodie aus der Oper „Robert der Teufel“ erstaunte. Mit 9 Jahren erhielt sie Unterricht von dem in Wien sehr angesehenen Moritz Zweigelt. Sie aber wollte mehr: Kein Geringerer als Franz Liszt sollte ihr Klavierlehrer sein. Ihre frühe Verheiratung aber beendete diese musikalischen Pläne. Mit 17 Jahren heiratete sie Graf Arthur Schlippenbach und lebte auf seinem Schloss Maruševec in Kroatien: eine weitere Karriere als Pianistin war unmöglich geworden. Der Ehe entstammten zwei Kinder, Heinrich Karl Christoph und Elsa Elisabeth. Mit 28 Jahren wurde Luisa Witwe, heiratete aber schon im Jahr darauf Graf Rudolf I. Erdödy (1846-1932), den Besitzer des Schosses in Novi Marof bei Varaždin, Kroatien. Mit ihm hatte sie einen Sohn, Rudolf II. Erdödy (1883-1966). Bald nach ihrer Ankunft in Kroatien begann Luisa Erdödy, sich für viele karitative Zwecke einzusetzen. Mit eigenen Mitteln gründete sie 1888 in Možđenec das erste private Krankenhaus in Kroatien, „Sanité“ genannt, mit angeschlossener Apotheke – dieses Spital ist noch heute im Schloss von Novi Marof in Betrieb. Sie unterstützte laufend die Kirche, vor allem aber arme Bauernfamilien und ihre Kinder. Gräfin Erdödy war bekannt für ihre Weihnachtskörbe mit warmer Kleidung und anderen Geschenken. In Mađarevo unterhielt sie auch eine Schulküche. 

Der Musikkritiker Gustav Kühle schrieb in der „Österreichischen Musik-und Theaterzeitung“, sie sei noch einmal öffentlich aufgetreten, nämlich 1882 in Graz bei einem Wohltätigkeitskonzert für Hochwasseropfer. Oberkärnten war tatsächlich im September und Oktober 1882 von verheerenden Überschwemmungen betroffen, doch in den Zeitungen findet sich kein Hinweis auf ein entsprechendes Wohltätigkeitskonzert. Es könnte sich also um eine Veranstaltung im engeren Kreis gehandelt haben.

Lios` musikalische Begabung ging nicht verloren. Als Pianistin war ihr der Weg verschlossen, aber sie wurde zur Komponistin. Sie schuf eine große Zahl von Liedern, die zunächst in ihrer nächsten Umgebung, später auch in der Öffentlichkeit überaus erfolgreich waren. So etwa sang 1889 Hildegard Stradal im Bösendorfersaal sieben Lieder, später kamen Konzerte im Ehrbar-Saal dazu. Im Jahr 1890 schrieb Gustav Kühle in der „Österreichischen Musik-und Theaterzeitung“: „Ihre süßen Melodien stammen – als eine höhere Offenbarung, die mehr bedeutet als alle Weisheit und Philosophie der Welt – aus dem himmlischen Paradiese.“ Er bezeichnete Lios als „geniale Componistin“ deren „interessant gewählte Harmoniefolgen der unendlichen Welt und dem unendlichen Meer gleichen.“ Ihre Kompositionen wären sogar mit Schuberts Liedern und mit der „poetischen Feinheit eines Schumann und Liszt“ zu vergleichen. 

Sechs von den vorhandenen Liedern sind für Mezzosopran komponiert, der Tonumfang beträgt im Wesentlichen eine Oktave, die Klavierbegleitung stellt keine großen Anforderungen an den Pianisten. Entsprechend dem Zeitgeist des ausgehenden 19. Jahrhunderts steht die emotionelle Aussage im Vordergrund, musikalische Experimente sind nicht das Anliegen der Komponistin. 

Dora Pejačević (1885 – 1923):

Das musikalische Werk der kroatischen Komponistin Gräfin Dora Pejačević dümpelte – auch in ihrem Heimatland – bis vor einigen Jahren in einer Atmosphäre fast vollkommener Gleichgültigkeit dahin. Das Leben ihres Werkes hat kaum länger gedauert als das Leben der Komponistin selbst. Sie starb mit 38 Jahren direkt nach der Geburt ihres ersten Kindes in München. Ein gebildetes, großbürgerliches Elternhaus förderte die früh als musikalisch hochbegabt Erkannte. Sie studierte in Dresden und München und trat schnell mit eigenen Kompositionen hervor. Ihre Musikkenntnisse erweiterte sie auch autodidaktisch, von unaufhaltsamer Neugier und kreativer Unruhe getragen. Zahlreiche Reisen und Kontakte mit einigen führenden Intellektuellen und Künstlern jener Zeit – mit Rilke und Karl Kraus verband sie sogar intensive Freundschaft – befruchteten ihre Kreativität, was sich u. a. bei der Auswahl literarischer Vorlagen für ihre Vokallyrik inspirierend auswirkte. Ihr Nachlass umfasst 57 vollendete Werke. Ihre symphonischen Hauptwerke sind die Symphonie in fis-Moll und die Phantasie concertante für Klavier und Orchester. In den Jahren 1917-19 entstanden, sind sie nicht nur Meilensteine in der kroatischen Musikgeschichte, sondern können durchaus neben Werken eines Rachmaninow (dem sie vielleicht stilistisch am nächsten kommt) bestehen.  (Davor Merkas)

Hier noch kurze Künstlerportraits:

Sandra Wigh – Hrašćanec, Mezzosopran

wurde in Zagreb geboren und wuchs in einer sehr musikalischen Familie auf. Sie hatte seit früher Kindheit Klavierunterricht, sang in Kinderaufführungen und maturierte am heimatlichen Musikgymnasium „Vatroslav Lisinski“. Ein Verkehrsunfall bereitete ihrer Pianistenlaufbahn ein abruptes Ende, worauf sie sich dem Sologesang zuwandte. Sie studierte Jus an der Universität Zagreb (Mag. iur.) und Sologesang (künstlerisches Diplom) am Prayner Konservatorium Wien, wo sie auch die Bühnenreifeprüfung für Oper ablegte. Daneben nahm Sandra Wigh – Hrašćanec privaten Schauspielunterricht bei Martin Beck, der auch ihr Talent für Komik und Humor auf der Bühne förderte. Sie besuchte Meisterklassen bei KS Walter Berry, KS Olivera Miljaković, Irina Gavrilovici, beim Altenbergtrio Wien (Kammermusik) und trat in der Folge viele Male (an die 500 Liederabende) mit breitgefächertem Repertoire unterschiedlichster Genres in Konzerten, Lesungen und bei Festivals in Kroatien (Musikverein in Zagreb, Euphrasiana in Poreč, Sommerfestival Hvar u.a.) als auch in Österreich auf. Weiters unternahm Sandra Wigh – Hrašćanec auch Konzertreisen nach Südost-Asien.                   

Seit dem Jahr 2000 ist sie Mitglied des „Kroatischen Vereins freischaffender Künstler“. 

Gemeinsam mit Mathias Reinthaller nahm sie 2005 die CD „Wiener und Zagreber Lieder“ auf, welche auch in Japan anlässlich zweier Konzerttourneen 2008 und 2011 promotet wurde.  

Anlässlich dieser CD würde sie als „Zagreberin des Jahres“ nominiert, und in mehreren Publikationen als ein wichtiger Beitrag für die Promotion der Stadt Zagreb im Ausland erwähnt.

Im Jahr 2010 erfolgte ihr Jazz – Debüt mit der CD „My Favorite Things“ zusammen mit kroatischen Jazzmusikern. 2011 hat ihre Zusammenarbeit mit Matija Dedić begonnen, dem prominentesten Jazz-Pianisten Kroatiens (Classic & Jazz Melange, Ethno Jazz Kroatiens).  

Seit Juni 2014 erarbeitet sie konsequent das dramatische Mezzo-Fach in der Meisterklasse des international bekannten Tenors Peter Svensson (ehem. Hoffman) und wirkt bei seinen Opern/Wagner-Galas „Peter Svensson & Friends“ in Wien mit. Seit kurzem Meisterklasse (Gesang und Interpretation) bei Regina Schörg.

2016 wurde Sandra Wigh – Hrašćanec von der kroatischen Presse für den Prestige Preis für Auslandskroaten – „Vecernjakova domovnica“ als berühmteste klassische Konzertsängerin nominiert. 

Website unter www.sandra-wigh-hrascanec.com   

Yu Chen, Klavier

Geboren 1984 in China. Seit 2004 studiert er das Klavierkonzertfach bei Prof. Roland Keller an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien. Vielfach preisgekrönt (u.a. 2007 Internationaler Sonderpreis für Korrepetitoren in Bulgarien und 1. Preis des Pleyel-Klavierwettbewerbs Wien (mdw).

Als Korrepetitor ist er an mehreren Konservatorien in Wien (Vienna/ Prayner/ Wagner und Schubert) tätig. 

Als Klavierbegleiter bei Internationalen Konzerten, Wettbewerben, Meisterklassen und Auditions als einfühlsamer und flexibler Partner viel gefragt und beliebt, sowohl bei Instrumentalisten wie auch bei den Sängern. 

Nachfolgend noch die Liedtexte der sechs Erstaufführungen von Luisa Erdödy – LIOS:

Herbsttag (Emil Peschkau) 

Durch Wolken zittert ein Sonnenstrahl, und leuchtet schüchtern in´s dunkle Thal.

Die Blumen lächeln: zu spät, zu spät! Durch welke Blätter der Herbstwind weht.

Nur im Erinnern wie schön es einst! Du gehst vorüber betrübt und weinst.

Viel Träume (Robert Hammerling; 1830 – 1889)

Viel Vögel sind geflogen, viel Blumen sind verblüht, 

viel Wolken sind gezogen, viel Sterne sind verglüht,

vom Fels aus Waldes Bronnen sind Wasser viel geschäumt:

Viel Träume sind zerronnen, die Du, mein Herz, geträumt!    

Das Blatt im Buche (Anastasius Grün; 1806 – 1876)

Ich hab´ eine alte Muhme, die ein altes Büchlein hat,

es liegt in dem alten Buche ein altes dürres Blatt.

So dürr sind wohl auch die Hände, die´s einst im Lenz ihr gepflückt.

Was mag wohl die Alte haben? Sie weint, so oft sie´s erblickt.

Im Frühling (Robert Hammerling)

Die Blumen sind aufgegangen, Crystalen glänzt der See,

dies Blüh´n und Leuchten und Prangen thut meinem Herzen weh!

Ich wollte, Winter bliebe, und die Blumen wachten nicht auf, 

bis Glück mir blühet und Liebe zu wonnigem Lebenslauf!

Einst wirst du schlummern (Albert Träger 1826 – 1886)

Ob nachts auch Tränen feucht dein Pfühl, und heiß die ruhelosen Lieder,

einst wirst du schlummern sanft und kühl, und keine Sorge weckt dich wieder.

Vergehe nicht in Angst und Qual, es eilt die Stunde, dich zu retten:

Vier Bretter nur braucht´s, dünn und schmal, ein müdes Menschenherz zu betten.

Und du auch findest eine Hand, die Augen sanft dir zu zu drücken, mit einer Blume,

einen Band dir deinen Sarg noch auszuschmücken.

Der Tod bringt Ruhe deinem Harm, die dir das Leben nie vergönnte,

halt aus; es ist kein Mensch so arm, dass er nicht endlich sterben könnte.

Es hat nicht sollen sein (Victor von Scheffel; 1826 -1886)

Das ist im Leben hässlich eingerichtet, dass bei den Rosen gleich die Dornen steh´n,

und was das arme Herz auch sehnt und dichtet, zum Schluss kommt doch das Voneinander gehn.

In deinen Augen hab ich einst gelesen, es blitzte drinn von Lieb´und Glück ein Schein:

Begüt`dich Gott!  Es wär´zu schön gewesen, behüt dich Gott! Es hat nicht sollen sein.

Im zweiten Teil des Konzerts hat Frau Sandra Wigh – Hrašćanec dann noch sechs Lieder von

Dora Pejačević zur Aufführung gebracht: 

Drei Gesänge op. 53, von Friedrich Nietzsche (1844 – 1900)

Venedig (1920), Vereinsamt (1919) und Der Einsamste (1920)

Sowie

Es jagen sich Mond und Sonne, op. 23, Nr. 4, Wilhelmine Wickenburg-Amasy (1845 – 1890)

An eine Falte op. 46 (1918), Karl Kraus (1874 – 1936)

Liebeslied, op. 39 (1915), Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)                                          

Ein nicht nur musikalisch überaus gelungener Liederabend, dessen Programm sowohl die Zuhörer kroatischer als auch deutscher Muttersprache in seinen Bann gezogen hat und dem Anspruch der Vertiefung der österreichisch – kroatischen Beziehungen durchaus gerecht wurde.

Wolfgang Pav

 

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